Das Inflationsgespenst ist zurück und mit ihm die Sorge um die Folgen dieser Entwicklung für die Aktienmärkte. Ob die Befürchtungen berechtigt sind, klärt Folker Hellmeyer, Chefanalyst von Solvecon Invest.
In den letzten Wochen dominierte das Inflationsgespenst an den Finanzmärkten. Aktienmärkte reagierten mit Verunsicherung. Mit dem Jahreswechsel ergab sich ein sprunghafter Anstieg der Verbraucherpreise in der Eurozone von -0,3% per Dezember 2020 auf +0,9% per Januar/Februar 2021. Auch die Kernrate der Verbraucherpreise stieg nach der Anomalie bei 0,20% während des Zeitraums September bis Dezember 2020 auf jetzt 1,1% per Februar 2021. Die Betrachtung der Kernrate ist von hervorgehobener Bedeutung, da sie den Preisdruck aus der inneren Volkswirtschaft abbildet.
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Positiv ist anzumerken, dass damit das Kalkül der EZB und der weiteren westlichen Zentralbanken aufgegangen ist, den deflationären Druck, der sich aus der Krise ergab, durch massive Maßnahmen in der Zins- und Geldpolitik in der Wirkung zunächst zu nivellieren und am Ende umzukehren.
Die Finanzmärkte befürchteten hinsichtlich der veränderten Situation, dass die westlichen Zentralbanken in zeitlicher Nähe in ihrer Geld- und Zinspolitik umsteuern würden. Entsprechend agierten die Marktteilnehmer an den Kapitalmärkten mit einer Neubewertung bei langfristigen Staatsanleihen. In der Folge legte die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe von -0,50 auf bis zu -0,20% zu, während es in den USA zu einem markanten Anstieg von 0,50 auf bis zu 1,70% für 10-jährige Treasuries kam.
Im Rahmen dieser Neubewertung am Kapitalmarkt waren alle westlichen Zentralbanken bemüht, den internationalen Finanzmärkten zu signalisieren, dass kein abrupter Lastwechsel in der Zins- und Geldpolitik anstünde. Der Anstieg der Preisniveaus über das Jahresende kam für die Zentralbanken und professionelle Analysten nicht überraschend, denn der Anstieg der Preisinflation hat sehr viel mit exogenen Effekten zu tun. Da geht es einmal um Basiseffekte und um Rohstoffpreise.
Aus diesem Grund haben westliche Zentralbanken hinsichtlich der Bewertung der Inflation lange im Voraus darauf verwiesen, dass man sich nicht an aktuellen Inflationsspitzen, sondern sowohl an langfristigen Durchschnitten der Preisentwicklung orientieren wird als auch ein temporäres Überschießen der Inflation tolerieren würde. Mithin ergibt sich eine Politik der ruhigen Hand bei den westlichen Zentralbanken bis weit in das Jahr 2022 oder sogar darüber hinaus.
Fakt ist, dass sich die Weltwirtschaft trotz anhaltender Corona-Pandemie erholt. Das gilt vor allen Dingen den industriellen Sektor. Aber auch der Dienstleistungssektor gewinnt global deutlich an Fahrt. Selbst in der Eurozone erreichten uns diesbezüglich jüngst positive Überraschungswerte, beispielsweise bei dem Markit Einkaufsmanagerindex, aber auch bei dem Verbrauchervertrauen der Eurozone. Die Corona-Problematik sollte im Jahresverlauf abnehmen und entsprechend Wachstumskräfte freisetzen. Die geplanten Wirtschaftsprogramme, die global aufgesetzt sind oder noch aufgesetzt werden (US-Infrastrukturprogramm Volumen circa 3 Billionen USD) werden Wachstum auf die nächsten drei bis vier Jahre forcieren. Damit wird das globale Wachstum in den kommenden Jahren überproportional ausfallen. Entsprechend fallen auch die BIP-Prognosen des IWF für die Jahre 2021/2022 mit 5,5%/4,2% überdurchschnittlich aus. Eine derartige konjunkturelle Entwicklung wird von zunehmenden Inflationsdruck geprägt sein. Diesbezüglich ist auf jetzt bereits bestehende Engpässen bei Halbleitern und im Stahlsektor verwiesen, die Preisüberwälzungsspielräume eröffnen.
Entscheidend ist die Amplitude des voraussichtlichen Ausschlags. Für die Eurozone ist ein vorübergehender Anstieg auf Größenordnungen um 2,5% realistisch. Dann sollte es zu einer Anpassung in Richtung 1,5% - 2,0% kommen.
An dieser Stelle ist ein Exkurs erforderlich, der deutlich macht, dass das Niedrigzinsniveau für westliche Länder und Wirtschaftsräume unverzichtbar ist. Die Krisen seit 2007 haben dafür gesorgt, dass die öffentlichen Haushaltslagen in vielen Ländern prekär sind.
Anders ausgedrückt können sich diese Länder oder Wirtschaftsräume kein Marktzinsniveau wie vor 2007 leisten, da der Zinseszinseffekt ansonsten diskretionäre Politikgestaltung mangels finanzieller Mittel vereitelte. Das Risiko von Staatsbankrotten stünde im Raum.
Die Finanzmärkte sind gut beraten, davon auszugehen, dass die repressive westliche Zentralbankpolitik nicht aufgegeben wird. Das heißt nicht, dass es auf nominaler Basis nicht zu leicht steigenden Zinsen kommen kann. Die Wirkung einer Zentralbankpolitik in einem Negativ-, Null- oder Niedrigzinsniveau hängt am Realzins. Der Realzins ist der Nominalzins abzüglich des Verbraucherpreises.
An dem Beispiel wird deutlich, dass der Realzins seit Dezember 2020 von -0,20% auf zuletzt -1,20% gesunken ist. Der Realzins bei -1,20% erzielt, sofern dauerhaft verankert, eine deutlich höhere ökonomische Wirkung als ein Realzins bei -0,20% in einem Niedrigzinsregime.
Hinsichtlich der Staatsverschuldung ist ein negativer Realzins Labsal. Die Staatsschulden haben grundsätzlich eine Durchschnittslaufzeit von circa 8 Jahren (Duration).
Als Beispiel bietet sich Deutschland an. Vor der Lehman-Krise finanzierte sich Deutschland mit einem Durchschnittszins von 3,8%. Jetzt liegt der Durchschnittszins faktisch um 0%. Diese Zahl berücksichtigt Negativzinsen. Der Staat verbucht sie als Einnahmen. Damit sind Negativzinsen in der offiziellen Zinskostenstatistik unberücksichtigt.
Inflation entwertet das reale Gesamtvolumen der Schulden (aktuell 2.172 Mrd. EUR). Auch wenn Zinsen steigen, unterläge nur die Neuverschuldung und die zu ersetzende Altverschuldung erhöhter Zinsbelastungen. Liegt der Durchschnittszins, der auf die Staatsschuld zu zahlen ist, unterhalb der Preisinflation, ergibt sich eine reale Entschuldung.
Hinsichtlich der Verschuldungsdynamik liefern die USA das kritischste Bild: US-Notenbankchef Powell rechnet mit einem Wirtschaftswachstum in Höhe von 6,5% per 2021. Die Prognose wird in der Grundtendenz quantitativ richtig sein, weil die US-Politik wie kein anderes Land Helikoptergeld in historisch einmaligem Maße verteilt und zusätzlich weitere Programme auf der Agenda hat. Die USA spielen das Modell „pimp my economy“ in einer nie zuvor dagewesenen Form.
Lassen wir Zahlen sprechen: 6,5% Wachstum entspricht einer Größenordnung von 1.352 Mrd. USD. Laut IWF wird die öffentliche Neuverschuldung ohne Berücksichtigung des 1,9 Billionen USD Hilfspakets bei 11,8% des BIP liegen. Das sind 2.454 Mrd. USD.
Inkludiert man dieses Programm ist eine Größenordnung von 18% des BIP realistisch. Das wären 3.744 Mrd. USD. Für einen Output von 1.352 Mrd. USD 3.744 Mrd. USD auszugeben, ist meines Erachtens kein Ausdruck von realer Stärke, sondern von massiver Schwäche struktureller Natur.
Wegen dieser massiven US-Verschuldungsdynamik ist die Fortsetzung der alimentierenden Fed-Politik und die Verankerung eines Niedrigzinsregimes für die USA von elementarer Bedeutung. Ergo argumentiert die Fed: Die Konjunkturerholung sei bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die Fed würde die Wirtschaft so lange stützen, wie es nötig sei. Die Fed rechne mit einem Anziehen der Inflation, doch seien das voraussichtlich nur vor-übergehende Effekte. Der Umfang der monatlichen Wertpapierkäufe in Höhe von 120 Mrd. USD würde beibehalten.
Das ist das Skript, dem auch die EZB folgen wird. Würde die EZB sich von dieser US-Repression unabhängig machen, käme es zu einer markanten Aufwertung des Euros. Damit würden deflationäre Impulse gesetzt und die Konkurrenzfähigkeit der Eurozone würde an internationalen Märkten beschädigt. Das will man weder im EZB-Rat noch in süd-, aber auch nordeuropäischen Gefilden.
Als Fazit lässt sich ziehen, dass die globale Wirtschaft stark laufen wird, dass es zu weiteren nominalen Anpassungen am Kapitalmarkt unter Schwankungen kommen wird und dass das Niedrigzinsregime mit größtenteils negativen Realzinsen uns noch lange begleiten wird.
Ein derartiges Szenario kann Aktienmärkte kurzfristig verschrecken und in Korrekturen zwingen. Es erscheint jedoch ungeeignet, um eine Trendumkehr einzuleiten, denn das BIP-Wachstum als auch die Inflation liefern positive Skaleneffekte in Umsatz und Gewinn für die Unternehmen.
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